
Am 12. Juni begehen wir den Welttag gegen Kinderarbeit – ein Tag des Gedenkens, der Gewissenserforschung und, vor allem, der erneuerten Entschlossenheit. Denn obwohl sich die Weltgemeinschaft seit langem verpflichtet hat, Kinderarbeit in all ihren Formen zu beenden, warten 160 Millionen Kinder weltweit noch immer darauf, dass dieses Versprechen eingelöst wird.
Das sind nicht nur Zahlen – das sind gestohlene Kindheiten.
Laut UNICEF ist fast jedes zehnte Kind weltweit weiterhin in Kinderarbeit gefangen. Noch alarmierender: Mehr als die Hälfte von ihnen – 79 Millionen Kinder – arbeiten unter gefährlichen Bedingungen, die ihre Gesundheit, Entwicklung und ihr Überleben direkt bedrohen. Diese Kinder schuften in gefährlichen Minen, auf mit Pestiziden belasteten Feldern, in fremden Haushalten und in Fabriken, die ihnen sowohl Ruhe als auch Rechte verweigern.

Zwischen 2000 und 2016 erzielte die Welt spürbare Erfolge im Kampf gegen Kinderarbeit: Rund 94 Millionen Kinder konnten aus der Arbeit befreit werden. Doch diese Dynamik ist nicht nur zum Stillstand gekommen – sie kehrt sich um.
Seit 2016 wurden erneut rund 8,4 Millionen Kinder in Kinderarbeit gedrängt. Wenn sich der derzeitige Trend fortsetzt, warnt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), könnten weitere 9 Millionen Kinder hinzukommen.
Die Ursachen sind vielschichtig und global: Die sozialen und wirtschaftlichen Langzeitfolgen der COVID-19-Pandemie, klimabedingte Vertreibungen, regionale Konflikte und die zunehmende Einkommensungleichheit zwingen Familien zu verzweifelten Entscheidungen.
Auch in Europa, einschließlich Deutschland, bleibt Kinderarbeit meist unsichtbar – aber nicht abwesend. Vor allem geflüchtete und migrierte Kinder sind besonders anfällig für Ausbeutung in der informellen Wirtschaft, in der Hausarbeit und in der saisonalen Landwirtschaft – oft ohne Zugang zu Bildung oder rechtlichem Schutz.

Kinderarbeit ist nicht einfach nur ein Armutsproblem – es ist eine Frage der Gerechtigkeit. Sie gedeiht dort, wo soziale Absicherung fehlt, Bildung unzugänglich ist und Ungleichheit ignoriert wird.
Um Kinderarbeit zu beenden, braucht es keine symbolischen Gesten, sondern strukturelle Veränderung.

Bildung ist das wirksamste Mittel zur Verhinderung von Kinderarbeit. Doch aktuell sind weltweit über 244 Millionen Kinder ohne Zugang zur Schule.
Besonders in ländlichen Regionen armer Länder verhindern Schulgebühren, lange Wege, Sicherheitsbedenken und soziale Normen den Schulbesuch.
Staaten müssen sich zu kostenfreier, inklusiver und qualitativ hochwertiger Grundbildung verpflichten – inklusive Schulmahlzeiten, Transport und sanitärer Versorgung.

Laut UNICEF fehlen weltweit über 1,4 Milliarden Kindern grundlegende soziale Schutzmaßnahmen.
Programme wie bedingte Geldtransfers, Kindergeld und Familienhilfe haben sich bei der Verringerung der Kinderarbeit als wirksam erwiesen.
Doch auch dort, wo Gesetze bestehen, fehlt oft die Durchsetzung. Es braucht Investitionen in ausgebildete Inspektor:innen, Kinderschutzbeauftragte und funktionierende Meldesysteme.

Branchen wie Kakao, Textil, Elektronik oder Bauwesen müssen Verantwortung für ihre Lieferketten übernehmen.
Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das 2023 in Kraft trat, ist ein wichtiger Schritt: Unternehmen sind verpflichtet, menschenrechtliche Risiken zu identifizieren und zu minimieren. Doch dieser Rahmen muss ausgebaut und konsequent durchgesetzt werden – mit null Toleranz gegenüber Kinderarbeit.

Kinderarbeit trifft Mädchen und Jungen unterschiedlich. Mädchen verrichten häufiger versteckte, unbezahlte Hausarbeit oder werden in frühe Ehen gedrängt – Bereiche, die in offiziellen Statistiken oft nicht auftauchen.
Lösungen müssen diese geschlechterspezifische Dimension anerkennen und Mädchen durch Bildung, Schutz und Gemeinschaft stärken.

Am Welttag gegen Kinderarbeit dürfen wir es nicht bei Worten und Aufmerksamkeit belassen. Wir müssen handeln – mutig, entschlossen und gemeinsam.
Denn es geht nicht nur darum, Kinderarbeit zu beenden – es geht darum, Kindheit wieder möglich zu machen: mit Lernen, Lachen und Liebe.
„Wir schulden jedem Kind mehr als nur das Überleben. Wir schulden ihnen die Chance, zu träumen,“ sagt Ann Kathrin Linsenhoff.
Herzlichst
Ihre
